Freitag, 26. September 2008
Zweites Kapitel Der Tränenpfuhl.
ALICE
Verquerer und verquerer! Jetzt werde ich auseinander geschoben wie das längste Teleskop das es je gab! Lebt wohl, Füße! O meine armen Füßchen!
wer euch wohl nun Schuhe und Strümpfe anziehen wird, meine Besten? denn ich kann es unmöglich tun! Ich bin viel zu weit ab, um mich mit euch abzugeben! ihr müßt sehen, wie ihr fertig werdet. Aber gut muß ich zu ihnen sein sonst gehen sie vielleicht nicht, wohin ich gehen möchte. Laß mal sehen: ich will ihnen jeden Weihnachten ein Paar neue Stiefel schenken. Sie müssen per Fracht gehen wie drollig es sein wird, seinen eignen Füßen ein Geschenk zu schicken! und wie komisch die Adresse aussehen wird! -- An Alice's rechten Fuß, Wohlgeboren, Fußteppich, nicht weit vom Kamin, mit Alice's Grüßen.Oh, was für Unsinn ich schwatze!

Alice stößt mit dem Kopf an die Decke und ist nun 9 Meter groß - nimmt sich den Schlüssel vom Tisch und rennt zur Gartentür.Wieder beginnt sie zu weinen als sie bemerkt, dass sie zu groß ist durch die Türe in den Garten zu gelangen.

ALICE
Du solltest dich schämen, solch großes Mädchen, noch so zu weinen! Höre gleich auf, sage ich dir!

Das Kaninchen erscheint

HASE
Oh! die Herzogin, die Herzogin! die wird mal außer sich sein, wenn ich sie warten lasse!

ALICE
Bitte, lieber Herr.

Das Kaninchen erschreckt sich so das es Fächer und Handschuh verliert und davonläuft.

ALICE
Wie seltsam heute Alles ist! Und gestern war es ganz wie gewöhnlich. Ob ich wohl in der Nacht umgewechselt worden bin? Laß mal sehen: war ich dieselbe, als ich heute früh aufstand? Es kommt mir fast vor, als hätte ich wie eine Veränderung in mir gefühlt. Aber wenn ich nicht dieselbe bin, dann ist die Frage: wer in aller Welt bin ich? Ja, das ist das Rätsel! Ich bin sicherlich nicht Ida,denn die trägt lange Locken, und mein Haar ist gar nicht lockig; und bestimmt kann ich nicht Clara sein, denn ich weiß eine ganze Menge, und sie, oh! sie weiß so sehr wenig! Außerdem, sie ist sie selbst, und ich bin ich, und, o wie Confus es Alles ist! Ich will versuchen, ob ich noch Alles weiß, was ich sonst wußte. Laß sehen: vier mal fünf ist zwölf, und vier mal sechs ist dreizehn, und vier mal sieben ist -- o weh! auf die Art komme ich nie bis zwanzig! Aber, das Einmaleins hat nicht so viel zu sagen; ich will Geographie nehmen. London ist die Hauptstadt von Paris, und Paris ist die Hauptstadt von Rom, und Rom -- nein, ich wette, das ist Alles falsch! Ich muß in Clara verwandelt sein! Ich will doch einmal sehen, ob ich sagen kann:

Bei einem Wirte, wunderwild,
Da war ich jüngst zu Gaste,
Ein Bienennest das war sein Schild
In einer braunen Tatze.

Es war der grimme Zottelbär,
Bei dem ich eingekehret;
Mit süßem Honigseim hat er
Sich selber wohl genähret!

Das kommt mir gar nicht richtig vor, Ich muß doch Clara sein, und ich werde in dem alten kleinen Hause wohnen müssen, und beinah keine Spielsachen zum Spielen haben, und ach! so viel zu lernen! Nein, das
habe ich mir vorgenommen: wenn ich Clara bin, will ich hier unten bleiben! Es soll ihnen nichts helfen, wenn sie die Köpfe zusammenstecken und herunter rufen: Komm wieder herauf, Herzchen!Ich will nur hinauf sehen und sprechen: wer bin ich denn? Sagt mir das erst, und dann, wenn ich die Person gern bin, will ich kommen; wo nicht, so will ich hier unten bleiben, bis ich jemand Anderes bin. -- Aber o weh!
ich wünschte, sie sähen herunter! Es ist mir so langweilig, hier ganz allein zu sein!

Alice beginnt zu schrumpfen

ALICE
Wie habe ich das nur angefangen? Ich muß wieder klein geworden sein.Das war glücklich davon gekommen! und nun in den Garten! -


Alice schrumpft weiter

ALICE
es ist schlimmer als je,denn so klein bin ich noch nie gewesen, nein, nie! Und ich sage, es ist zu schlecht, ist es!

Alice fällt in ihr Tränenmeer

ALICE
Ich wünschte, ich hätte nicht so sehr geweint! Jetzt werde ich wohl dafür bestraft werden und in meinen eigenen Tränen ertrinken! Das wird sonderbar sein, das! Aber Alles ist heut so sonderbar.

Eine Maus erscheint im Wasser

ALICe
Würde es wohl etwas nützen,diese Maus anzureden? Alles ist so wunderlich hier unten, daß ich glauben möchte, sie kann sprechen; auf jeden Fall habe ich das Fragen umsonst. - O Maus, weißt du, wie man aus diesem Pfuhle gelangt, ich bin von dem Herumschwimmen ganz müde, o Maus!
ALICE
Vielleicht versteht sie nicht Englisch,es ist vielleicht eine französische Maus, die mit Wilhelm dem Eroberer herüber gekommen ist =Où est ma chatte?=

Die Maus bekommt angst

ALICE
O, ich bitte um Verzeihung! Ich hatte ganz vergessen, daß Sie Katzen nicht mögen.

MAUS
Katzen nicht mögen! Würdest du Katzen mögen, wenn du in meiner Stelle wärest?«
ALICE Nein, wohl kaum - sei nicht mehr böse darüber. Und doch möchte ich dir unsere Katze Dinah zeigen können. Ich glaube, du würdest Geschmack für Katzen bekommen, wenn du sie nur sehen könntest. Sie ist ein so liebes ruhiges Thier,sie sitzt und spinnt so nett beim Feuer, leckt sich die Pfoten und wäscht sich das Schnäuzchen -- und sie ist so hübsch weich auf dem Schoß zu haben -- und sie ist solch famoser Mäusefänger -- oh, ich bitte um Verzeihung! Wir wollen nicht mehr davon reden, wenn du es nicht gern hast.

MAUS
Wir, wirklich! Als ob ich je über solchen Gegenstand spräche! Unsere Familie hat von jeher Katzen verabscheut: häßliche, niedrige, gemeine Dinger!
Laß mich ihren Namen nicht wieder hören!«

ALICE
Nein, gewiß nicht! Magst du -- magst du gern Hunde?Es wohnt ein so reizender kleiner Hund nicht weit von unserm Hause. Den möchte ich dir zeigen können! Ein kleiner klaräugiger Wachtelhund, weißt du, ach, mit solch krausem braunen Fell! Und er apportirt Alles, was man ihm hinwirft, und er kann aufrecht stehen und um sein Essen betteln, und so viel Kunststücke -- ich kann mich kaum auf die Hälfte besinnen -- und er gehört einem Amtmann, weißt du, und er sagt, er ist so nützlich, er ist ihm hundert Pfund wert! Er sagt, er vertilgt alle Ratten und -- oh wie dumm! - Ich fürchte, ich habe ihr wieder weh gethan! - Liebes Mäuschen! Komm wieder zurück, und wir wollen weder von Katzen noch von Hunden reden, wenn du sie nicht gern hast!

MAUs
Komm mit mir an's Ufer, da will ich dir meine Geschichte erzählen; dann wirst du begreifen, warum ich Katzen und Hunde nicht leiden kann.

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