Montag, 24. November 2008
Leidenserfahrungen einer Kritikerin
kay voges, 03:28h
Moers
Ein kollektiver Albtraum
VON ANJA KATZKE
24.11.2008 RP
Moers (RP) Die Uraufführung der Inszenierung „Alice – Expedition ins Wunderland“ frei nach Lewis Carroll bekam viel Premieren-Applaus vom Publikum, überzeugte aber nicht. Es ist vielmehr eine abstruse Tour de Force.
Das Schlosstheater gehört zum Glück zu den Theatern, die ihren Regisseuren, Dramaturgen und Schauspielern den Freiraum geben, zu improvisieren, Grenzen zu überschreiten und mit den Möglichkeiten zu experimentieren. Das ist gut so. Doch was gut ist, muss nicht immer auch gelingen und gefallen. Die Inszenierung „Alice – Expedition ins Wunderland“, die am Samstag uraufgeführt wurde, verschlingt das Publikum gnadenlos in einem vom Ensemble geschaffenen Albtraum, der sich hoch schaukelt und die Grenzen des Erträglichen ausloten will. Regisseur Kay Voges sagte vor der Premiere, dass diese Inszenierung ein mutiges Publikum braucht. Dem möchte man hinzufügen, dass es bereit sein sollte, auf dieser Expedition seine individuelle Leidensfähigkeit auf den Prüfstand stellen zu lassen. Leichtigkeit sollte es nicht erwarten.
Eine Vielzahl von Hirngespinsten
Carrolls „Alice“ ist Motivgeberin des im Ensemble-Kollektiv erarbeiteten Stücks, das wie die Wunderland-Geschichten nicht den Regeln der Logik folgt, die Welt der Vernunft aber noch drastischer auf den Kopf stellt. Dieser kollektive Albtraum, vielleicht auch Drogenexzess, ist der Dramaturg dieser Geschichte, die in der Küche einer WG ihren Lauf nimmt. Aquarium links, Küchenzeile rechts, dahinter eine spießige 70er-Jahre-Großdruck-Tapete. Die Inszenierung startet mit harmlosen WG-Streitereien über Politik, Putzplan und Hausordnung, dringt aber bald in unterbewusste Sphären ein, in denen Gewohntes befremdlich wirkt, Sprache phonetisch zerstückelt wird und Handlungen wie irrsinnig daher kommen. Freud lässt grüßen. Jede Szene nimmt noch groteskere Züge an. Zeit und Raum lösen sich auf, das Individuum wird dekonstruiert. Ekkehard ist Sebastian, Sebastian ist Ekkehard. Lewis Carrolls weißer Hase taucht immer wieder mal auf, mal als Zeichentrickfigur auf die Leinwand projiziert, mal als Hasenohr-Mütze auf dem Kopf eines Schauspielers. In diesem Rahmen versuchen Regisseur Kay Voges und Dramaturg Alexander Kerlin die Grundfragen des menschlichen Daseins zu verhandeln und schicken die Schauspieler Kinga Prytula, Sebastian Kuschmann, Andrea Cleven sowie Ekkehard Freyer und damit auch das Publikum auf eine philosophische und psychologische Tour de Force, auf der auch gesellschaftliche Regeln hinterfragt werden, so zum Beispiel: „Wir brauchen eine Putzplan, einen Putzplan für die Sozialhygiene. Seelenhygiene.“ Diese Atmosphäre wird verstärkt durch die wilden, oft unerwartet einsetzenden Licht-, Klang- und Videoinstallationen der Medienkünstler „Sputnic“ aus Krefeld sowie die Musik und dem Gesang von Markus Maria Jansen. Die experimentelle Idee, die hinter dieser Inszenierung steckt, ist gut. Die Vielzahl der Hirngespinste, die auf der Bühne breit getreten werden, zermürben jedoch auf Dauer.
Ein kollektiver Albtraum
VON ANJA KATZKE
24.11.2008 RP
Moers (RP) Die Uraufführung der Inszenierung „Alice – Expedition ins Wunderland“ frei nach Lewis Carroll bekam viel Premieren-Applaus vom Publikum, überzeugte aber nicht. Es ist vielmehr eine abstruse Tour de Force.
Das Schlosstheater gehört zum Glück zu den Theatern, die ihren Regisseuren, Dramaturgen und Schauspielern den Freiraum geben, zu improvisieren, Grenzen zu überschreiten und mit den Möglichkeiten zu experimentieren. Das ist gut so. Doch was gut ist, muss nicht immer auch gelingen und gefallen. Die Inszenierung „Alice – Expedition ins Wunderland“, die am Samstag uraufgeführt wurde, verschlingt das Publikum gnadenlos in einem vom Ensemble geschaffenen Albtraum, der sich hoch schaukelt und die Grenzen des Erträglichen ausloten will. Regisseur Kay Voges sagte vor der Premiere, dass diese Inszenierung ein mutiges Publikum braucht. Dem möchte man hinzufügen, dass es bereit sein sollte, auf dieser Expedition seine individuelle Leidensfähigkeit auf den Prüfstand stellen zu lassen. Leichtigkeit sollte es nicht erwarten.
Eine Vielzahl von Hirngespinsten
Carrolls „Alice“ ist Motivgeberin des im Ensemble-Kollektiv erarbeiteten Stücks, das wie die Wunderland-Geschichten nicht den Regeln der Logik folgt, die Welt der Vernunft aber noch drastischer auf den Kopf stellt. Dieser kollektive Albtraum, vielleicht auch Drogenexzess, ist der Dramaturg dieser Geschichte, die in der Küche einer WG ihren Lauf nimmt. Aquarium links, Küchenzeile rechts, dahinter eine spießige 70er-Jahre-Großdruck-Tapete. Die Inszenierung startet mit harmlosen WG-Streitereien über Politik, Putzplan und Hausordnung, dringt aber bald in unterbewusste Sphären ein, in denen Gewohntes befremdlich wirkt, Sprache phonetisch zerstückelt wird und Handlungen wie irrsinnig daher kommen. Freud lässt grüßen. Jede Szene nimmt noch groteskere Züge an. Zeit und Raum lösen sich auf, das Individuum wird dekonstruiert. Ekkehard ist Sebastian, Sebastian ist Ekkehard. Lewis Carrolls weißer Hase taucht immer wieder mal auf, mal als Zeichentrickfigur auf die Leinwand projiziert, mal als Hasenohr-Mütze auf dem Kopf eines Schauspielers. In diesem Rahmen versuchen Regisseur Kay Voges und Dramaturg Alexander Kerlin die Grundfragen des menschlichen Daseins zu verhandeln und schicken die Schauspieler Kinga Prytula, Sebastian Kuschmann, Andrea Cleven sowie Ekkehard Freyer und damit auch das Publikum auf eine philosophische und psychologische Tour de Force, auf der auch gesellschaftliche Regeln hinterfragt werden, so zum Beispiel: „Wir brauchen eine Putzplan, einen Putzplan für die Sozialhygiene. Seelenhygiene.“ Diese Atmosphäre wird verstärkt durch die wilden, oft unerwartet einsetzenden Licht-, Klang- und Videoinstallationen der Medienkünstler „Sputnic“ aus Krefeld sowie die Musik und dem Gesang von Markus Maria Jansen. Die experimentelle Idee, die hinter dieser Inszenierung steckt, ist gut. Die Vielzahl der Hirngespinste, die auf der Bühne breit getreten werden, zermürben jedoch auf Dauer.
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